VG Berlin, Abgeltung von Mehrarbeit nach Zurruhesetzung, Urteil v. 14.08.2014, VG 28 K 344.12

„Einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung kann der Kläger nicht auf § 53 Abs. 2 des Landesbeamtengesetzes in Verbindung mit § 3 Absatz 1 der aufgrund von § 48 des Bundesbesoldungsgesetzes erlassenen Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung in ihrer am 31. August 2006 im Land Berlin gemäß Art. 125a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und § 1 b Abs. 1 Nr. 4 des Landesbesoldungsgesetzes fortgeltenden Fassung – BMVergV Bln – stützen.

Nach § 3 Absatz 1 BMVergV Bln wird die Vergütung, die im Ermessen des Dienstherrn steht (§ 2 BMVergV Bln), nur gewährt, wenn die Mehrarbeit von einem Beamten, der der Arbeitszeitregelung für Beamte unterliegt, in einem Bereich im Sinne von § 2 BMVergV Bln geleistet wurde, sie schriftlich angeordnet oder genehmigt wurde (Nr. 1), die sich aus der regelmäßigen Arbeitszeit ergebende jeweilige monatliche Arbeitszeit mehr als 5 Stunden im Kalendermonats übersteigt (Nr. 2) und aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung innerhalb eines Jahres ausgeglichen werden kann (Nr. 3). Zwingende dienstliche Gründe, die einen Freizeitausgleich innerhalb eines Jahres unmöglich gemacht haben, liegen im Fall des Klägers nicht vor.

Zwar ist der Ausgleich der vom Kläger geleisteten Mehrarbeitsstunden durch Dienstbefreiung innerhalb der Jahresfrist objektiv unmöglich geworden, weil der Kläger seit 3. März 2011 durchgehend dienstunfähig erkrankt war und mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 in den Ruhestand versetzt wurde. Ein Freizeitausgleich ist jedoch nicht, wie von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BMVergV Bln vorausgesetzt aus zwingenden dienstlichen Gründen innerhalb eines Jahres unmöglich geworden. Dabei handelt es sich um solche Gründe, die in der Sphäre des Dienstherren liegen und nicht der Sphäre des Beamten zuzurechnen sind. Von zwingenden dienstlichen Gründen kann demzufolge nur ausgegangen werden, wenn die an sich gebotene Freistellung des Beamten zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung oder Gefährdung des Dienstbetriebs führen würde. Nicht unerheblich beeinträchtigt würde der Dienstbetriebs vor allem dann, wenn und soweit er durch die Dienstbefreiung in einer wichtige Belange der Allgemeinheit gefährdenden oder sogar schädigenden Weise gestört würde (VBL. dazu BVerwG, Urteil vom 26. Juli 2012 – BVerwG 2 C 70.11 – juris, Rn. 31). Demgegenüber erfüllen in der Person des Beamten liegende Gründe, die die fristgerechte Dienstbefreiung hindern, die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht (BVerwG, Beschl. v. 24. Mai 1985 – BVerwG 2 B 45.85, juris, Rn.3 (…)). Der Kläger war vom Beginn seiner Dienstunfähigkeit seit 3. März 2011 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand aufgrund Erreichens der Altersgrenze nicht mehr im Dienst, so dass er den vorrangig zu gewährenden Freizeitausgleich nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Diese Umstände – sowohl eine Krankheit als auch eine Pensionierung – stellen jedoch ausschließlich in der Sphäre des Klägers liegende und keine zwingenden dienstlichen Gründen in der Sphäre des Dienstherrn dar.

(…)

Entgegen der Auffassung des Klägers folgt auch nicht allein aus dem Umstand, dass der Dienstherr eine Arbeitszeitregelung praktiziert, bei der in erheblichem Maße Mehrarbeitsstunden anfallen, dass bei einer Erkrankung und Pensionierung eines Beamten doch dienstliche Gründe den Freizeitausgleich unmöglich machen. Denn der Dienstherr darf zwar nicht auf Dauer einen Teil seines Personalbedarfs durch Heranziehung der Beamten zur Dienstleistung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus decken und Mehrarbeit muss sich auf Ausnahmefälle beschränken. Gegen eine rechtswidrige übermäßige zeitliche Belastung kann der Beamte sich jedoch durch Rechtsbehelfe – einschließlich der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes – mit dem Ziel der Unterlassung zur Wehr setzen (BVerwG 2 C 35.02 –, juris, Rn. 14). Im Übrigen ist der Beamte prinzipiell verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unentgeltlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu erbringen. Auch diese „Mehrleistung“ ist grundsätzlich mit den Dienstbezügen abgegolten (BVerwG, Urteil vom 29. April 2004,  – BVerwG  2 C 9.03 -, juris, Rn. 10).

Dem Kläger steht der geltend gemachte finanzielle Abgeltungsanspruch auch nicht aufgrund der nach Art. 33 Abs. 5 GG verbürgten Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten zu. Aus der Fürsorgepflicht ergeben sich nur dann Leistungsansprüche, wenn die Fürsorgepflicht andernfalls im Wesenskern verletzt wäre (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1999 – BVerwG 2 C 29.98, juris, Rn. 22). Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der Beamte unzumutbar belastet wird (BVerwG, Urt. v. 21. Dez. 2000 – BverwG 2 C 39.99 – juris, Rn. 17). Eine derartige Verletzung ist hier nicht gegeben und scheidet bereits deshalb aus, weil der Grund für die Unmöglichkeit einer Dienstbefreiung innerhalb der Jahresfrist seine Ursache ausschließlich in der persönlichen Sphäre des Klägers hat.“

In der weiteren Urteilsbegründung  schließt das Gericht auch einen Anspruch des Klägers auf Ausgleich nach dem unionsrechtlichen Staatshaftungsrecht aus. Dieser wäre nur gegeben, wenn die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 48 Stunden pro Siebentageszeitraum überschritten hätte (mit Hinweis auf EuGH Rechtssache Fuß – C–429/09 –, juris, Rn.47).

Und auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folge kein Vergütungsanspruch für eine Inanspruchnahme über die rglm. Dienstzeit hinaus (mit Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 8. Nov. 2007 – OVG 4 B 7.06 -, juris, Rn 21 ff.).